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Von Ferne sei herzlich gegrüsset…

  • bertrand985
  • 10. Apr. 2024
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 14. Sept. 2024

Eigenartiger Titel, nicht wahr? Nach vielen Überlegungen ob seines Sinns oder Unsinns spiegelt er jedoch ziemlich treffend wider, wie sich eine gewisse Familiengeschichte entwickelt hat und welchen Schluss ich daraus gezogen habe. Es geht, wie so oft bei Familiengeschichten, um meine Geschwister. Dazu ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit:

 

Wir sind fünf Geschwister (drei Brüder und zwei Schwestern) und haben an sich eine wunderbare Kindheit erlebt, dank unserer aufgeschlossenen, liebevollen und mit Engelsgeduld gesegneten Eltern. Die Gruppendynamik innerhalb uns Kindern war jedoch mal mehr, häufig auch mal weniger harmonisch. Als Jüngster in der Runde hatte ich natürlich einerseits den Baby-Bonus oder den Nesthäkchen-Kredit, ausserdem wurden viele Kämpfe bereits von den älteren Geschwistern ausgefochten, deren Früchte ich dann müheloser ernten konnte, wie länger aufbleiben, später heimkommen, diverse Fragen rund um Beziehungen etc. etc. Andererseits war ich für die Geschwister aber auch der Klotz am Bein, das Kind, welches man auf Geheiss von Mama/Papa mitnehmen musste aber eigentlich nicht wollte. Die Jahresabstände waren teils halt doch so, dass man in einem ganz anderen Level zuhause war als die älteren und den jüngsten immer im Schlepptau zu haben, war einfach nur uncool gegenüber Freunden. Später, als man etwas älter war, hatten sich dann die gemeinsamen Aktivitäten grundsätzlich erledigt und man unternahm fast alles nur noch innerhalb seines Freundeskreises.

 

Noch etwas später wurde schliesslich auch die geografische Entfernung grösser. Ich ging mit 18 Jahren ins Ausland und war ab dann für ca. 38 Jahre nicht mehr gleich um die Ecke. Es gab selbstverständlich gelegentliche Besuche zu Weihnachten oder Ostern, auch mal während den Ferien, aber mehr als 2–3-mal im Jahr wurde es nicht. Zu diesen Gelegenheiten sah man dann auch die Geschwister wieder und verbrachte meist eine gute Zeit miteinander.

 

Fast Forward zum jetzigen Zeitpunkt: Nach einem Auswanderungsversuch (siehe anderer Post) sind meine Frau und ich wieder im Wallis gelandet, meinem Heimatkanton, in dem auch drei meiner vier Geschwister leben. Ich fand es, als ich weiter weg meinen Lebensmittelpunkt hatte, schon immer etwas schade, dass ich nicht so nahe an meiner Familie war und Aktivitäten, Feste und gemeinsame Unternehmungen nicht mitmachen konnte. In meiner Vorstellung hatte ich das Gefühl, einiges zu verpassen und demzufolge freute ich mich, wieder in die Nähe der Family zu ziehen. In meinen Gedanken zeichnete ich mir ein Bild davon, wie sich die Interaktion mit meinen Geschwistern jetzt entwickeln könnte. Gemeinsame Aktivitäten wie mal essen gehen, auf einen Kaffee vorbeischauen, zusammen eine Motorrad-Tour machen, gemeinsam Geburtstage feiern etc. etc. Ich habe mich dann auch bemüht, dies zu kommunizieren und dachte, dass dies in beiderseitigem Sinne sei, mehr miteinander zu unternehmen.

 

Aber dem war nicht so! Fairerweise muss ich anmerken, dass es am Anfang einige Zeit so aussah, als wäre meine Vorstellung nicht so daneben, aber schon bald kühlte sich die Sache ziemlich ab und es kamen immer mehr unangenehme und verwirrende Gegebenheiten vor, die mit ziemlich ratlos machten und die ich versuchte, genauer zu analysieren. Was waren das für Vorkommnisse? Hier ein paar Beispiele:

 

-          Bei verschiedenen Gelegenheiten zu einem gemeinsamen Essen, öfters auch mit unserer Mutter, wurde man nicht eingeladen und erfuhr dann erst von dritter Seite, dass überhaupt ein Essen stattgefunden hatte. Auch bei Geburtstagen kam dies vor. Selbst wenn das Restaurant nur wenige Minuten von unserem Wohnort entfernt war, ging man mit Mutter zum Essen und fand es nicht nötig, uns vielleicht ebenfalls Bescheid zu geben.

-          Anfangs gab es noch vereinzelt gemeinsame Motorrad-Touren, aber irgendwann klappte scheinbar die Kommunikation nicht mehr, Missverständnisse häuften sich und es gab zuerst noch ein paar Ausflüchte und dann gar keine Ansage mehr. Man traf sich dann zufällig am gleichen Tag auf einem Pass wieder, sagte Hallo und fuhr getrennt wieder weiter.

-          Gemeinsame Unternehmungen, z.B. Ausflüge, fanden so gut wie nicht statt. Erst im Nachhinein hörte man dann, wieder von dritter Seite (meist vom Mama-Funk), dass ein Geschwister einen Ausflug hier- oder dorthin gemacht habe, bei dem man eigentlich auch gerne mit dabei gewesen wäre, hätte man davon gewusst.

Es gab noch vereinzelte andere Geschehnisse, aber der Grundtenor ist auch so verständlich, denke ich. Und ich möchte auch betonen, dass es mir betreffend Einladungen nicht um hochoffizielle, schriftlich auf Briefpapier und per Post zugestellter, förmlich perfekt verfasster Einladungen geht. In Zeiten von WhatsApp und Konsorten ist es heutzutage ja wirklich absolut kein Problem mehr, jemanden kurz zu fragen, ob er mitkommen will. Wenn ich dann Ausreden à la «es war halt eine spontane Entscheidung» höre, dann kann ich das eigentlich nicht ernst nehmen. Es dauert gefühlt 10 Sekunden, um «Wir gehen zu XXX, kommst Du mit?» ins Handy zu tippen, inklusive der Nachricht zu senden.

 

Wie gesagt, ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen, wieso es so lief, wie es lief und habe öfters darüber gebrütet, was der Hintergrund davon war und ob es an mir liegt. Dies denke ich inzwischen jedoch nicht mehr, da ich zu einer anderen Schlussfolgerung kam, die folgendermassen lautet:

 

Die Geschwister legen einfach keinen gesteigerten Wert darauf, mit mir Zeit zu verbringen.

 

Das mag etwas hart formuliert sein, aber schlussendlich trifft es den Kern der Sache, meiner Meinung zumindest nach. Ich hatte mir in der Ferne ein Idealbild davon zusammengebastelt, wie es sein würde, wenn ich wieder in der Nähe meiner Geschwister lebe. Dabei habe ich nicht realisiert, dass jeder und jede in seinen Kreisen lebt, Freunde hat und Interessen pflegt. Niemand hat dabei eigentlich auf mich gewartet, das Leben ging nach meinem Wegzug vor vielen Jahren weiter und ich war kein Teil davon. Kommt dazu, dass unsere Interessen, Meinungen und Ansichten teils grundverschieden und teilweise fast inkompatibel sind. Es gibt ja nicht umsonst den Spruch: Die Freunde kann man sich aussuchen, die Familie nicht… 😉 Ich habe irgendwann auch in einem Aha-Moment realisiert, dass es sich hierbei nicht im speziellen um mich handelt, sondern dass auch die Geschwister untereinander so gut wie nichts gemeinsam unternehmen oder in der Vergangenheit unternommen hätten. Die Berührungspunkte sind schlicht nicht wirklich da, abgesehen von unserer Mutter.

 

Nach einiger Zeit habe ich dann angefangen, bei anderen Familien nachzuforschen und dort ergibt sich fast durch die Bank, von einigen Ausnahmen abgesehen, das gleiche Bild. Bei meiner Mutter war es so, dass sie vier Geschwister waren und im gleichen Dorf wohnten, aber durch die Jahrzehnte sehr wenig bis fast gar nichts miteinander unternahmen. Jeder hatte seinen Familien- und Freundeskreis und nur bei grösseren Familienveranstaltungen traf man sich wieder. Die zusammen musizierenden, jeden Sonntag bei den Eltern oder Grosseltern gemeinsam Mittag essenden und miteinander in die Ferien fliegenden Geschwister sind deutlich in der Minderheit, die Realität ist eine andere, wie auch ich inzwischen gelernt habe.

 

Die Gründe, warum dies so ist, sind wahrscheinlich psychologisch mannigfaltig untersucht und analysiert worden, aber diese Schlussfolgerungen überlasse ich den Experten. Ich hätte jedoch doch die eine oder andere Ahnung, warum dies so ist.

 

Einerseits denke ich, dass man sich über die Jahre einfach auseinandergelebt und verschiedene Interessen und Ansichten entwickelt hat, die man nicht mehr mit seinem Bruder oder Schwester teilt oder teilen will. Ist auch bei Paaren wohlbekannt. Man hat seinesgleichen gefunden, mit denen man lieber Zeit verbringt und mit denen man auf der gleichen Wellenlänge surft. Die Gespräche unter uns werden mitunter auch manchmal zäher und gelegentlich hitziger. Interessanterweise ist es auch so, dass man bei Geschwistern (und sonderbarerweise fast nur bei Geschwistern) jedes Wort sehr sorgfältig wählen und auf die Goldwaage legen muss, ansonsten kann es lange Kommunikationspausen nach sich ziehen, dass nur am Rande…

 

Andererseits ist es vielleicht auch so, dass, wenn man so viel Zeit miteinander in der Kind- und Jugendzeit verbracht hat, das Bedürfnis einfach nicht mehr da ist, sich öfters zu sehen. Früher hatte man ja nicht unbedingt die Wahl, weil alle unter einem Dach gelebt haben. Jetzt ist das natürlich anders und vielleicht ist man ja nicht ganz unglücklich, wenn man «die Anderen» nicht mehr so oft sieht.

 

Mir hat mal jemand gesagt, dass die Rollenmuster in der Familie immer bestehen bleiben und als jüngster Spross sehe ich das inzwischen auch so. Ich habe das auch im Kontext dieses Themas wiederentdeckt, und zwar in der Form, dass ich, wie damals als Kind, fast immer derjenige war, der «Bitte, bitte nehmt mich mit» gesagt hat, wohlgemerkt nicht in dieser Form aber sinngemäss. Die Älteren lassen sich bitten, wie früher auch schon. Inzwischen habe ich das jedoch abgelegt. Wer Wert darauf legt, mit mir Zeit verbringen zu wollen, kann dies auch zeigen, es ist keine Einbahnstrasse.

 

Und schlussendlich komme ich wieder auf den Titel zurück. Wieso hat dies früher, als ich geografisch weiter weg war, besser oder vielleicht nicht besser, aber harmonischer oder zufriedenstellender funktioniert? Weil man nur einen begrenzten Zeitrahmen zur Verfügung hatte, wenn man vor Ort war, und so das Interesse an der anderen Person für diese Zeit echter war, keine Höflichkeitsübung. Man tauschte sich aus und entschwand dann wieder in seine eigene Welt. Das beweist übrigens auch, weshalb die Gleichung Geographische Nähe = Soziale Nähe nicht grundsätzlich stimmt. Aus der Entfernung grüsst man sich herzlich, bei zunehmender Nähe kann es dann aber auch wieder zu viel der geschwisterlichen Präsenz werden 😉

 

Abschliessend möchte ich noch anmerken, dass das Geschriebene hier nicht etwa als Vorwurf an meine Geschwister gedeutet werden sollte, sondern vielmehr meiner subjektiven Empfindung der heutigen Situation entspricht. Für meine etwas romantisierte Erwartungshaltung und den darauffolgenden Realitätscheck kann niemand ausser mir etwas dafür. Sicher, manchmal habe ich mir gewünscht, dass die Kommunikation etwas ehrlicher und direkter stattfindet, aber wahrscheinlich ist aus Sicht meiner Geschwister alles in Ordnung und so, wie es ihrem Empfinden nach sein sollte. Ich habe mich inzwischen damit arrangiert und nehme es, wie es gerade kommt; um einiges weniger bemüht und mir ebenfalls mal die Freiheit herausnehmend, keine Lust auf Familiensinn zu haben.

 

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Kreativität in all ihren Facetten begeistert mich schon seit langem und motiviert mich immer wieder, spannende frische Projekte zu realisieren und (für mich) neuartiges, kreatives Territorium zu erforschen.

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