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U.S.A(usgeträumt?).

  • bertrand985
  • 2. Feb. 2024
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Apr. 2024

Diesen Sommer ging es nach einigen Jahren der Abstinenz wieder einmal für drei Wochen in die USA, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der Nummer Eins meiner Traumdestinationen. Dazu muss ich anmerken, dass mir dieses Land seit Jugendjahren sehr am Herzen liegt. Ich hatte die Gelegenheit, als 20-jähriger Jungspund ein Jahr als Student am Guitar Institute of Technology (G.I.T.) in Hollywood, Los Angeles zu verbringen, ein unvergessliches Erlebnis. Später ging es dann immer wieder mal über den grossen Teich, meist für kürzere Aufenthalte, aber einmal auch für 3 Monate. Seitdem spüre ich eine seltsame Art der Verbindung zu diesem Land. Manchmal erlebe ich ein gewisses Déjà-vu, wenn ich dort drüben ankomme und diese Atmosphäre wieder spüre, die Luft atme und durch die Gegend fahre. Ich fühle mich einfach sehr wohl mit diesem Lifestyle, der unglaublichen Landschaft (bevorzugt Westcoast und Wüste) und den freundlichen und offenen Americans.

 

Und nun ging es also endlich wieder los, nachdem ich schon seit einiger Zeit wieder einen unerklärlichen, seltsamen Drang verspürt hatte, wieder etwas Zeit dort verbringen zu «müssen». Als würde mir das Land leise zuflüstern « Komm endlich mal wieder her, it’s about time…

 

Also Flüge gebucht, Katzensitter organisiert, Koffer gepackt und ab gings mit erstem Ziel Las Vegas. Wir fliegen gerne direkt und gleich in den Westen, deshalb ist der Flug in das Spielerparadies meist unsere erste Wahl. Man steigt aus und ist da, wo man hinwollte, ohne lästiges Umsteigen und Warten auf den Anschlussflug. Der Flug war ruhig, angenehm und ich freute mich riesig auf die Zeit dort. Ich bin immer wieder fasziniert von Las Vegas, manche Leute können die Stadt nicht leiden, ich fühle mich dort sehr wohl. Gerade das künstliche und auf’s Showbusiness getrimmte Dasein, die immerwährende Erneuerung und das trotzige Wesen der Bewohner, es der Wüste zu zeigen, finde ich sehr spannend.

 

Diesmal jedoch erwartete mich ein Wiedersehen mit einem Land, welches ich so noch nicht gekannt hatte und obwohl vieles immer noch vertraut war, konnte ich mich einem gewissen Gefühl der Enttäuschung nicht ganz erwehren. Das Land, welches mich so begeisterte und meinem Lebensgefühl so nahekam, zeigte einige unschöne Seiten. Ich muss dazu sagen, dass ich das letzte Mal vor ca. 5 Jahren dort war, also vor der Pandemie, der Rezession, dem Sturm aufs Capitol und was sonst noch das Land gebeutelt hatte und immer noch tut.

 

Das Erste, was mir sofort auffiel, als wir den Mietwagen abgeholt hatten und Richtung Hotel im Süden von Las Vegas fuhren, war, dass die anderen Verkehrsteilnehmer sehr viel schneller als das Speed Limit unterwegs waren. Ich war es von früher gewohnt, mich ziemlich strikt and das Limit zu halten, wenn man keinen Ärger mit den Cops haben wollte. Vor vielen Jahren wurden ich und mein Bruder mal angehalten, weil wir mit 68 statt 65 unterwegs waren und kriegten eine veritable Standpauke von dem Officer mit dem Hinweis, uns gefälligst in seinem Land an die Regeln zu halten. Seitdem waren wir immer sehr konservativ unterwegs. Diesmal jedoch wurden wir selbst in 55er Zonen auf dem Freeway in Las Vegas zum Verkehrshindernis, welches links und rechts mit deutlich über 70 überholt wurde. Das ging durch den ganzen Urlaub so, 5 Meilen über dem Limit war das Mindeste, meistens waren es 10-15 oder mehr, um mit dem Strom nur annähernd mitschwimmen zu können. Und von den Cops war eigentlich nicht viel zu sehen, wahrscheinlich leiden die auch unter dem Personalmangel (siehe nächsten Abschnitt). Diese Hetzerei und das damit einhergehende, rücksichtslosere Fahren war man früher nur in den meist östlichen Grossstädten wie New York, Chicago oder Detroit gewohnt, aber nicht im relaxten Südwesten der USA.

 

In den Restaurants und auf den Raststätten entlang unseres Weges fiel dann ein weiterer Punkt auf, welcher früher so nicht existierte. Der Kundenservice und die Kundenorientierung in den USA war in unseren Augen immer schon aussergewöhnlich und setzte die Messlatte, verglichen mit Europa, sehr hoch an. Corona hatte jedoch auch hier massiv zugeschlagen und so war das Service-Personal in fast jedem Restaurant und sonstigen Betrieb in der Unterzahl, meistens völlig überarbeitet und überfordert. Wartezeiten beim Eingang waren die Regel, bis man einen Tisch zugewiesen erhielt. Auch wenn das Lokal halb leer war, musste man warten, weil es einfach nicht genug Personal gab, um alle Tische zu bedienen. In einigen Restaurants waren teilweise ganze Bereiche stillgelegt worden, obwohl es lange Schlangen beim Eingang gab, Kunden waren also mehr als genug vorhanden. Dann dauerte es nochmal zwischen 30 bis 40 Minuten, um nur schon mal eine Speisekarte in den Händen zu halten, vom Essen ganz zu schweigen. Öfters haben sich die Kellner:innen auch entschuldigt mit dem Hinweis, dass sie leider alleine für den ganzen Bereich zuständig seien oder gerade wieder ein Kollege abwesend war oder gekündigt hatte. Überall waren einfach zu wenig Leute: Lebensmittel wurden im Supermarkt nicht aufgefüllt, auch an Raststätten war es dreckiger und kaputter als auch schon, weil meist nur eine Person fast den ganzen Laden schmeissen musste.

 

Und dann waren da noch die Preise…

 

Die USA waren auch früher jetzt nicht unbedingt ein günstiges Land, um Urlaub zu machen, zumindest ich bin diesbezüglich nicht aus diesem Grund dorthin geflogen. Aber grundsätzlich konnte man Waren, Dienstleistungen, Sprit, Unterkünfte, Essen etc. doch um einiges günstiger kriegen als hierzulande in good old Switzerland (was ja nicht schwer ist, ehrlich gesagt, bei unseren Preisen hier). Was uns jedoch diesmal preistechnisch erwartete, war schon heftiger Tobak! Einfach alles war viel teurer, als das noch vor 5 Jahren der Fall war. Automiete, Hotels, auswärts essen gehen, Eintritte etc. etc. Selbst ein Einkauf in einem als günstig geltenden Supermarkt hat uns 120-130 Dollar gekostet, obwohl wir nur einige grundlegende Dinge für unseren Aufenthalt in einem Ferienhaus eingekauft hatten, also Milch, Brot, Wasser, Butter, etwas Früchte usw. Der gleiche Warenkorb, wir haben es verglichen, kostet hier etwas um die 100 SFr.

 

Fairerweise muss man jedoch anmerken, dass man auch jetzt noch günstig Essen und Einkaufen kann, aber man muss viel mehr suchen und einen Blick für Spezialangebote kriegen, die Dame vor uns in der Schlange im Supermarkt mit einem Haufen Coupons in den Händen weiss genau, wovon wir reden😉. Eine super leckere Teryaki Chicken Bowl für acht Dollar war eben doch auch möglich, mmhhh……

 

Die Inflation und die damit gestiegenen Preise spiegeln sich natürlich auch stark in der Stimmung der Menschen dort wider. Die einstige Leichtigkeit ist einer Spur Verbissenheit und Verdruss gewichen, eine gewisse Resignation ist auch manchmal spürbar. Leute, die zwei Jobs haben und nicht über die Runden kommen, sind erschreckenderweise nicht so selten, wie vielleicht angenommen. Mieten, zum Beispiel, sind unglaublich gestiegen in den letzten Jahren. In Downtown Phoenix, eine im Moment sehr angesagte Location gerade auch für Tech-Firmen, denen Silicon Valley zu teuer geworden ist, zahlt man schon mal um die 2000 Dollar für ein 1-Zimmer Appartement! Wir hatten früher auch noch nie so viele Obdachlose und verwahrloste Menschen gesehen. Sicher, damals in meiner Zeit (1990) in Los Angeles gab es auch Obdachlose, aber die Zahl war weitaus kleiner und die Mittelschicht war noch nicht wirklich davon betroffen. Wenn man jetzt jedoch die Zeltstädte in Los Angeles und anderen Städten sieht, ist das schon eine neue Dimension, gerade auch aus welchen sozialen Schichten die Leute stammen. Viele ältere Leute leben nicht in einem Van, weil es gerade hip und cool ist (Hashtag #VANLIFE), sondern weil sie sich schlicht nichts mehr anderes leisten können.

 

Auf einer RV-Show sind wir in ein Gespräch mit einer älteren Verkäuferin von Airstream-Wohnwagen gekommen, welche sich das (etwas günstigere) Leben in Vegas mit der Vermietung eines Mobile Homes in Phoenix querfinanziert, ohne dies käme sie sonst nicht über die Runden. Sie hat dann einen Satz gesagt, den ich in über 35 Jahren, in denen ich immer mal wieder in den USA war, noch nie von jemanden gehört habe: „At the moment, i’m not proud to be an american citizen“.

 

Dieses Statement und die allgemeine Angespanntheit gehen auch auf das Konto der politischen Stimmung und der daraus resultierenden Spannung und Spaltung zwischen Demokraten und Republikaner. Normalerweise war es in der Vergangenheit so, dass man eigentlich nicht gespürt hat, wer gerade Präsident in den USA ist als man dort unterwegs war, ausser vielleicht an der Zapfsäule beim Bezahlen. Der eine Präsident hat mal mehr, mal weniger Erdöl gefördert und damit war der Preis unterschiedlich, aber abgesehen davon war nicht viel zu merken. Diesmal jedoch hat sich die politische Lage auch in die Gefühlswelt der Menschen eingeschlichen. Diskutieren wurde etwas schwieriger, mit gewissen Aussagen musste man vorsichtiger sein und der Drang, in lockeren Gesprächen doch den einen oder anderen Seitenhieb auf eine Partei abzufeuern (natürlich nie die eigene), welche die Schuld an XY trug, war schon präsent. Die Spaltung ist auch im Alltag angekommen.

 

Nun, genug des Jammerns! Trotz alldem war die Zeit dort auch wieder unglaublich schön und wir haben es sehr genossen. Besonders die immer wieder eindrücklichen Wüstenlandschaften, das unkomplizierte Unterwegs sein, die immer noch freundlichen, offenen und herzlichen Kontakte mit den Leuten, die ungezwungenen, spontanen Gespräche überall, ob im Lift oder an der Kasse, das sonnige, warme und trockene Klima! Das alles sind

Gründe, wieso wir immer wieder in die USA reisen werden. Insgeheim hoffe ich jedoch schon, dass sich die Situation dort, nicht zuletzt auch für die Amis, zum Besseren wendet, egal wer dies auch zustande bringen sollte. Die kommende Wahl verspricht zwar eher das Gegenteil, no matter who, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Peace y‘all!

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Über mich

Kreativität in all ihren Facetten begeistert mich schon seit langem und motiviert mich immer wieder, spannende frische Projekte zu realisieren und (für mich) neuartiges, kreatives Territorium zu erforschen.

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