Der Mensch lebt nicht von billig allein…
- bertrand985
- 18. Feb. 2023
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Sept. 2023
Tja, wo fange ich am besten an? Da sitzen wir nun im Flugzeug in der Business-Klasse (haben wir uns mal geleistet) auf dem Flug von Chiang Mai über Bangkok nach Frankfurt. Fast genau 4 Monate ist es her, seit ich nach Chiang Mai geflogen bin mit der Aussicht, dort zumindest eine Weile zu leben.
Unser Plan war, einen frühzeitigen Ruhestand anzustreben und um dies finanzieren zu können, haben wir ein Land gesucht, welches durch niedrige Lebenskosten glänzt und auch sonst einiges bietet wie gute Gesundheitsvorsorge, eine gewisse Stabilität und eine gute Grundinfrastruktur mit brauchbarem Internetanschluss. Ich wollte dort wieder mehr im Studio an Songs und Videos arbeiten, kreativ sein und das Leben in der Sonne geniessen. Zuerst muss ich erwähnen, dass Thailand nie mein Auswanderungsziel Nummer Eins gewesen ist, das wäre mit Sicherheit die USA gewesen, aber dort will man uns Schweizer ja nicht als Einwanderer. Wir waren kurz vor der Auswanderung für zwei Wochen Urlaub in Thailand und haben uns dort die Städte Hua Hin im Süden und Chiang Mai im Norden angeschaut, wobei uns letztere bei weitem besser gefallen hat als Wohnort. Ich war zwar weiterhin skeptisch, dachte aber, dass ich es zumindest mal ein Jahr versuche und dann immer noch entscheiden kann, wieder zurück nach Europa zu gehen. Es kam dann aber alles ganz anders und schneller, als ich dachte.
Fairerweise muss ich jedoch vorher anmerken, dass alles, was ich nachfolgend schreibe, nichts mit Thailand als Land oder den Leuten dort zu tun hat, sondern meine eigene Einstellung zu der Situation ist. Ich schiebe also die «Schuld», sofern man davon sprechen kann, nicht Land und Leuten zu, sondern durchwegs nur mir allein.
Anfang September ging es dann also für mich los. Ich bin einen Monat früher als meine Frau hingeflogen, um alles so weit vorzubereiten, auch wegen dem Umzug der vier(!) Katzen. Kleiner vorgezogener Rat: Wandert nicht mit Haustieren aus, es ist der Horror! Mehr dazu später. Über Bangkok bin ich nach Chiang Mai geflogen und kam nach langer Reise endlich im Hotel an. Nach einer sehr kurzen Verschnaufpause ging es auch schon los mit dem Organisieren. Zuerst musste mal ein Topper her, weil ich auf dem harten Bett nicht schlafen konnte. In Thailand gibt es scheinbar eine Vorliebe, auf als Bett getarnten Ziegelsteinen zu schlafen. Weiter ging es dann mit diversen Visa-Gängen, der Haussuche (die durch die vier Katzen nicht einfacher wurde), Bankkonto eröffnen, Handy/Internet-Abo abschliessen usw. Nachdem ein Haus gefunden wurde, musste dann dort alles eingerichtet werden, also alles, was die Katzen so brauchen, Geschirr für uns, Handtücher, Putzzeug, den Internetanschluss organisieren etc.pp. Und das alles in einem Land, dessen Sprache ich nicht spreche und wo man mit Englisch entgegen diversen Meinungen in Online-Foren eben doch nicht überall durchkommt. Ohne die Hilfe des Visa-Teams wären bestimmte Dinge wie Immigration für mich nicht machbar gewesen. Nach wenigen Wochen häuften sich bei mir die Anzeichen von negativen Gefühlen gegenüber der Situation immer mehr. Der Stress, die Sprache, die fremde Kultur und ein Gefühl ständiger Überforderung sowie die Tatsache, dass ich alles allein ohne Support meiner Frau machen musste, zerrten gewaltig an meiner Energie. Ich dachte jedoch, wenn dann mal meine Frau und die Katzen da sind, wird es wieder besser. Dem war nicht so.
Nur wenige Wochen, nachdem meine Frau angekommen war, stürzte ich definitiv in ein recht dunkles Loch. Das Grundgefühl, welches sich recht schnell ausbreitete, war, dass ich einfach nicht mehr in diesem Land sein wollte. Ich war völlig überrascht, wie schnell sich dieses Gefühl bei mir Bahn brach und konnte zuerst nicht recht erkennen an was es liegt. Langsam realisierte ich jedoch, dass es mehrere Faktoren gab, die da zusammenkamen:
1. Verantwortungsdruck: Da meine Frau kein Thai und nur sehr wenig Englisch spricht, lag die gesamte Kommunikation bei mir. So gut wie alles musste ich organisieren oder erledigen. Rechnungen zahlen, Verträge abschliessen (z.B. Mietwagen, Haus, Handy, Internet etc.) oder Visa-Angelegenheiten klären mit den Agents. Das war aber nur eine Seite. Seitdem meine Frau angekommen war, fühlte ich mich natürlich auch verantwortlich dafür, falls etwas passieren sollte, zu handeln und zu funktionieren, auch falls mit den Katzen was sein sollte (was dann auch der Fall war). Dadurch dass meine Frau nicht wirklich kommunizieren konnte im Notfall, baute das den Druck bei mir weiter auf.
2. Worst-Case Szenarien: Als grundsätzlicher Pessimist mache ich mir oft das Leben sauschwer mit Was-wäre-wenn-Szenarien. Hier ein paar Beispiele, gibt noch viel mehr:
a. Was ist, wenn meine Frau krank wird? Wo muss ich hin? Komme ich dort zurecht? Sprechen die englisch? Wie wird das mit der Versicherung klappen?
b. Was ist, wenn ich krank werde? Wie kommt dann meine Frau zurecht, allein im Haus? Wie kommt sie an Lebensmittel, sie fährt ja nicht Auto in Thailand.
c. Was ist, wenn etwas am Auto kaputt geht oder ein Unfall passiert? Mitten auf dem Superhighway? Wen rufe ich an?
d. Was ist, wenn wir nicht das 1-Jahres Visa kriegen, weil die Anforderungen nicht erfüllt sind? Müssen wir dann überstürzt (mit vier Katzen) das Land verlassen? Wenn ja, wohin?
3. Verkehr: Ich fahre grundsätzlich gerne, sei es mit Auto oder Motorrad. Thailand ist jedoch (bis jetzt) das einzige Land, in dem ich nicht nur ungerne Auto gefahren bin, sondern es regelrecht ersorgt und gehasst habe. Ich habe mich immer gewundert: So zuvorkommend, höflich und rücksichtsvoll die Thais sonst im Leben sind, auf der Strasse werden sie zu Mister Hyde. Rücksichtslos, gefährlich, drängelnd und absolut hirnrissig wird gefahren. Und da habe ich das Kanonenfutter des thailändischen Verkehrs, die Millionen Scooter-Fahrer, noch gar nicht miteingeschlossen. Es gab mehrere Beinahe-Unfälle, bei denen ich dank meiner Erfahrung, Voraussicht und viel Glück einen Zusammenstoss oder Schlimmeres vermeiden konnte. Der Linksverkehr hat dabei auch nicht geholfen, habe mich aber recht schnell daran gewöhnt. Und nachts fahren war dann Next-Level-Stress, absolut zum Vermeiden. Deshalb hat sich meine Frau auch nicht ans Steuer gesetzt, obwohl sie sonst gut fährt. Ich war jedes Mal heilfroh, wenn wir wieder wohlbehalten zuhause waren. 20 Minuten im thailändischen Verkehr ist wie 8 Stunden in der Schweiz unterwegs zu sein und man ist immer noch weniger gestresst.
4. Beschäftigung: Zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass die Frühpensionierung mit 54 doch seine Tücken hat. Meine Idee, mich hauptsächlich im Studio zu beschäftigen, war nicht wirklich das gelbe vom Ei. Ich habe mir dann eigestehen müssen, dass ich doch noch gerne etwas mit meinen Skills und Erfahrungen aus dem Berufsleben machen möchte. Sicher nicht mehr die gleiche Schiene wie früher, aber eventuell im Bereich eLearning, Tutorials oder als Trainer generell. Natürlich wurde mir schnell bewusst, dass dies in Thailand ohne Sprachkenntnisse nicht zu machen war. Mir wurde auch bewusst, dass ich dies lieber in Europa, in einem deutschsprachigen Land, machen möchte und dort sicher auch mehr Chancen auf Erfolg habe. Grundsätzlich fehlte eine gewisse Aufgabe, wie ich sie sonst bei meinen Auslandaufenthalten in Deutschland und USA hatte. Sei es Ausbildung oder eine Stelle, es gab immer eine Aufgabe und diese konkrete Aufgabe fehlte mir hier.
5. Sprache und Integration: Mit das grösste Problem war die Sprache. Hört man immer wieder und ist auch so. Ohne Sprachkenntnisse wird das Auswandern sehr schwierig. Natürlich lag es allein an uns, ob und wie schnell wir die Sprache lernen könnten. Aber irgendwie fehlte mit trotz allem die Motivation und das Interesse, dies wirklich anzugehen. Wir hatten schon in der Schweiz Sprachunterricht, kamen aber nicht wirklich voran. Ich weiss, dass man Thai lernen kann, wenn man wirklich will. Aber es ist eine schwere Sprache und insgeheim hat sich wahrscheinlich etwas in mir gesträubt. Auch wenn man die Sprache gut und fliessend spricht, gibt es immer noch eine gewisse Barriere zwischen Ausländern und Thais. Man bleibt immer Ausländer, egal wie gut man die Sprache spricht, hatte mir ein Bekannter gesagt, der seit 15 Jahren in Thailand lebt und die Sprache sehr gut beherrscht.
6. Kultur: Was mich am meisten an Thailand und seinen Bewohnern beeindruckt hat, ist der respektvolle, freundliche und angenehme Umgang miteinander. Man wird überall freundlich begrüsst und es gibt diese unaufdringliche Aufmerksamkeit in Geschäften, die man anfänglich irrtümlicherweise als Desinteresse deutet. Tritt man in einen Laden ein, scheint sich das Personal nach der Begrüssung kaum für einen zu interessieren und steht irgendwo herum. Sobald man jedoch nur kurz in die Richtung guckt, wo die Person steht, kommt sofort Leben in die Sache und man wird zuvorkommend und höflich bedient. Dies setzt sich wohltuend von der aufdringlichen Art mancher westlicher Angestellten ab, die sehr «pushy» daherkommen können, wenn sie ihren Sales-Abschluss machen wollen. Diese Gelassenheit und Ruhe kann man fast überall erleben, ausser im Verkehr (siehe oben). Eine Wohltat gegenüber der hektischen, rücksichtslosen und nur von höher, schneller, weiter getriebenen westlichen Kultur. Es wird weniger auf Äusserlichkeiten und Oberflächlichem geachtet, sondern mehr auf den Inhalt, die Harmonie und der Zufriedenheit mit sich und der Umwelt. Allerdings ging der pragmatische Einsatz mir, als Schweizer Perfektionist, dann doch in manchen Bereichen zu weit. Gerade bei den Handwerkern konnte ich mich nur schwer am Riemen reissen, mich nicht doch einzumischen und dem guten Mann zu sagen, dass das keine gute Idee ist. Beispiele? Gerne. Nachdem die neue Waschmaschine angeschlossen wurde, ohne getestet zu werden, kam mir kurz nach Start des ersten Waschgangs das Wasser auf dem Küchenboden entgegen. Stellte sich heraus, dass der Abfluss komplett zu war, nicht verdreckt, sondern von Gips und sonstigem Zeug komplett dicht, der Mann hat einfach den Schlauch montiert, ohne sich zu vergewissern, dass das Rohr auch wirklich frei war. Ebenso konnten nach Anschluss des neuen Herds und Backofen entweder nur das eine oder das andere Gerät verwendet werden. Beim gleichzeitigen Betrieb flog zuverlässig die Sicherung raus! Man sieht auch überall an der Infrastruktur wie Strassen, Gebäuden, Zügen etc., dass nichts wirklich daran gemacht wird, solange es noch irgendwie funktioniert und seinen Zweck erfüllt. Ganz anders als dies bei uns in der Schweiz der Fall ist, wo schon nach einem Jahr die Strasse saniert wird, die gerade erst gebaut wurde. Solange dies nur optisch ist, kein Problem. Bei sicherheitsrelevanten Aspekten sehe ich das dann nicht mehr so entspannt ;-)
Ein Reisender, den ich beim Abflug in Chiang Mai getroffen habe, hat diese Mentalität sehr gut in zwei Worten abgefasst: «Good enough!--> gut genug». Das trifft den Punkt ziemlich gut. Meine Visa-Agentin hat einmal erwähnt, dass der Unternehmergeist in diesem Land nicht ganz das ist, was sie sich wünschen würde, gerade bei ihren lokalen Mitarbeitern. Es wird etwas aufgebaut, z.B. ein Geschäft eröffnet, aber dann hört der Expansionsdrang dann schon recht schnell auf. Nun aber muss ich sagen, dass dies ja auch ein positiver Punkt sein kann, nicht immer noch mehr Umsatz machen zu wollen, wie dies im Westen der Fall ist und zu vielen wohlbekannten Problemen (auch gesundheitlicher) Art führt. Hier wäre wohl der goldene Mittelweg zum Thema Unternehmergeist wieder optimal: Was im Westen zu viel des Guten ist, könnte in Thailand etwas mehr davon sein.
Nach diversen Diskussionen mit meiner Frau kamen wir an dem Punkt, an dem ich zugeben musste, dass ich so schnell als möglich wieder nach Europa zurückwollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, ein halbes, geschweige denn ein ganzes Jahr zu warten und dort zu bleiben, bis es wieder zurück geht. Ich war so weit, dass ich am nächsten Tag hätte ins Flugzeug steigen können. Da haben mir aber die lieben Haustiere einen Strich durch die Rechnung gemacht. Weil Thailand ein Hochrisiko-Land für Tollwut ist, muss zuerst ein entsprechender Test gemacht werden. Nach der Blutabnahme für diesen Test, dauert es drei Monate (!!!), bis die Tiere wieder in Europa eingeführt werden dürfen. Die Katzen kamen Anfang Oktober an, und nach einer kurzen Zeit gings dann gleich zum Bluttest. Wir hätten also bis Ende Januar bleiben müssen, bevor die Katzen wieder reisebereit wären. Das gab mir dann fast den Rest. Ich konnte mir schon im Oktober nicht mehr vorstellen, noch so lange in einem Land zu leben, in dem ich mich nicht mehr wohlfühlte und ständig in Sorge war, dass etwas passieren konnte mit dem ich fertigwerden müsste. Ich hatte mehrere Nächte, in denen ich halbe Panikattacken bekam aufgrund aller Dinge, die hätten schiefgehen können in diesem fremden Land, in dem ich die Verantwortung für alles zu haben schien. Die Zeit wurde zähflüssig, ich fühlte mich manchmal wie ein Gefangener, der Striche an die Wand macht oder im Kalender Tage durchstreicht. Ich wollte es einfach ohne Zwischenfälle bis zum 4. Januar schaffen. Sogar einen 2-wöchigen Urlaub im November in der Schweiz konnte ich aushandeln, um 2 Wochen weniger lang dort sein zu müssen. Nochmal betone ich, das lag nur an mir und meinen Dämonen im Kopf. Das tägliche Leben in Thailand war sehr wohl auszuhalten. Gutes Essen, meist angenehmes Klima, wenn auch oft zu heiss und feucht für mich, nette Leute und ein schönes Haus, und das alles für wenig Geld. Aber ich konnte an vielem nur noch das Negative sehen und es gelang mir immer schwerer, auch die schönen Seiten zu geniessen. Und ja, die verd… Mücken haben mich wahnsinnig genervt. Sie sind immer und überall, sind dort auch nicht so harmlos was die Übertragung von Krankheiten angeht, und ich ziehe sie an wie ein Magnet. Meine Frau hatte einen Stich in drei Wochen, ich manchmal drei am Tag! Ich habe eine richtige Mückenphobie entwickelt und immer alle Fenster und Türen sofort zugemacht, nachts wollte ich nirgendwo hin wenn es sich vermeiden liess, weil sie mich nach der Dämmerung aufgefressen hätten.
Meiner Frau hingegen hat es sehr gut gefallen und sie wollte auch bis Ende Januar bleiben, auch wollte sie die Katzen nicht für längere Zeit in eine Katzenpension geben, bis die Sperrfrist abgelaufen wäre. Dies wurde zu einer wachsenden Belastung und schlussendlich war ich mir und meinem Wohlbefinden selbst am nächsten und es gab einen Kompromiss. Die Katzen gingen am 30.12. in ein Katzenhotel in Bangkok bis zum Abflug Ende Januar. Meine Frau und ich sollten dann am 4. Januar schon voraus fliegen und da sind wir nun beim Jetzt und hier im Flugzeug nach Frankfurt angekommen. Wieso Frankfurt? Das ist eine andere Geschichte.
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